Interview Im Gespräch mit Marlies Kuhl, ehemalige Geschäftsführerin der Stiftung Hilfe für Familien in Not

Die Bundesstiftung „Mutter und Kind – Schutz des ungeborenen Lebens“ wendet sich besonders an schwangere Frauen in einer Notlage und unterstützt jährlich ca. 150.000 werdende Mütter. Wie beurteilen Sie heute diese gesellschaftliche und politische Herausforderung?

Eine Schwangerschaft und die Geburt eines Kindes sind tiefgreifende Ereignisse im Leben einer Frau und einer Familie, die zahlreiche Veränderungen mit sich bringen. Gleichzeitig können damit einhergehende finanzielle Lasten zu Zukunftsängsten, psychosozialen Belastungen und finanziellen Nöten führen. Dann braucht die Schwangere schnelle, kompetente und unbürokratische Hilfe. Hier liegt der wichtige Auftrag der Bundesstiftung – schwangere Frauen durch ergänzende finanzielle Hilfen zu unterstützen und ihnen damit die „Fortsetzung der Schwangerschaft zu erleichtern“.

Allein die Zahlen sprechen für sich. Seit Bestehen unserer Landesstiftung „Hilfe für Familien in Not“ in Brandenburg konnten wir 120.994 Schwangeren mit 66,1 Millionen Euro aus Mitteln der Bundesstiftung helfen. Nach wie vor ist die Bundesstiftung ein wichtiger Bestandteil der sozialen Hilfemöglichkeiten, nicht nur im Land Brandenburg, sondern bundesweit.

Im Bereich Ihres Bundeslandes sind Sie seit 1992 verantwortlich für die Bewilligung von Stiftungsmitteln. Welches sind aus Ihrer Sicht die besonderen Probleme der Schwangerschaftsberatungsstellen vor Ort?

In den vergangenen Jahren sind die Notlagen schwangerer Frauen komplexer geworden, was zur Folge hat, dass die Beratungen begleitender, vernetzter und vor allem fachlich anspruchsvoller werden. Die Beratungskräfte geben den Ratsuchenden nicht nur alle wichtigen Informationen, die sie in die Lage versetzen, verantwortungsbewusst ihre Entscheidungen zu treffen. Sie unterstützen darüber hinaus in psychosozialen Notlagen und helfen in ihrer „Funktion“ als sozialrechtliche Ratgebende den Frauen und Familien ihre rechtlichen Ansprüche geltend zu machen.

Neben diesem weitgespannten Aufgabenfeld, stellt die komplexe und sich ständig ändernde soziale Gesetzgebung eine große Herausforderung dar. In dem Kontext gewährleisten die hochqualifizierten und motivierten Beraterinnen und Berater eine umfangreiche und individuell ausgerichtete Beratungsleistung. Sie stehen Schwangeren und Familien vertrauensvoll, fachlich kompetent zur Seite.

Welche Bedeutung haben die regelmäßig vorhandenen Bundesstiftungshilfen für die Arbeit der Landesstiftung und die Unterstützung für schwangere Frauen und deren Familien in Brandenburg?

Die brandenburgische Stiftung „Hilfe für Familien in Not“ ist über die Jahre fester Bestandteil des Hilfesystems für Schwangere und Familien in unserem Bundesland geworden. Die Notwendigkeit der jährlich aus der Bundesstiftung zugewiesenen Mittel lässt sich anschaulich anhand von Zahlen verdeutlichen. Allein in Brandenburg erhielten im letzten Jahr 6.141 werdende Mütter ergänzende finanzielle Hilfen aus Bundesstiftungsmitteln. Der Anteil beträgt zirka 34 Prozent und liegt damit deutlich über dem Bundesdurchschnitt von rund 20 Prozent. Im laufenden Jahr 2013 konnte bereits bis Mai mit Bundesstiftungshilfen über 2.600 Schwangere im Land Brandenburg unterstützt werden.

Darüber hinaus besteht aufgrund unserer brandenburgischen Besonderheit die Möglichkeit, wenn die Mutter erst nach der Geburt ihres Kindes von den Stiftungshilfen erfährt - und aus der Bundesstiftung deshalb keine Unterstützung mehr gewährt werden kann - über die weiteren Mittel der Landesstiftung eine finanzielle Hilfe zu erhalten. Im Jahr 2012 betrug der Anteil dieser finanziellen Leistungen für ergänzende Babyerstausstattung u. a. über 5,7 Prozent.

Die Bundesstiftung spricht davon, mit den Stiftungsmitteln werdenden Müttern Türen in das System präventiver, früher Hilfen zu öffnen. Wie sehen Sie die Rolle der „Türöffnerfunktion“ in Ihrem Arbeitszusammenhang?

Die gut vernetzten Schwangerschaftsberatungsstellen sind ein wesentlicher Baustein des bestehenden sozialen Hilfesystems im Land. Daneben haben sich in den letzten Jahren im Kontext des Systems der präventiven, frühen Hilfe weitere Netzwerke und Bündnisse gebildet, in denen Familien noch andere Unterstützung erhalten und die eine sinnvolle Ergänzung sind. Die Vermittlung in diese „frühe Hilfe“ Strukturen wird meist erst durch die Beratung im Zusammenhang mit einer Antragstellung auf Stiftungsmittel erkennbar und möglich.

Denn der Anreiz, ergänzende finanzielle Unterstützung von der Bundesstiftung zu erhalten, führt oft genau die Frauen in eine Schwangerschaftsberatungsstelle, die sonst nicht von ihrem Recht auf Beratung nach dem Schwangeren- und Familienhilfeänderungsgesetz Gebrauch machen würden. Über die Möglichkeit der finanziellen Unterstützung hinaus, umfasst das vertrauliche Beratungsgespräch die gesamte Lebenssituation der Ratsuchenden, so dass auf dieser Grundlage weitergehende Hinweise über Unterstützungsleistungen vermittelt und diese „Türen geöffnet“ werden können.

Ein Beispiel für die Türöffnerfunktion im Land Brandenburg ist die hier praktizierte Vernetzung und das Zusammenwirken mit den Hebammen, den Frauenärztinnen und –ärzten einerseits und den Schwangerschaftsberatungsstellen andererseits als wichtige Voraussetzung für individuelle Betreuung und Förderungen der Schwangeren. So konnte ich zum Beispiel anschaulich über die Hilfsmöglichkeiten von Bundesstiftung und Landesstiftung auf der Landestagung des Hebammenverbandes Brandenburg e.V. im vergangenen Jahr und in diesem Jahr auf dem 19. Brandenburgischen Gynäkologentag berichten.

Die Stiftung „Hilfe für Familien in Not“ des Landes Brandenburg gewährt über den Zweck der Bundesstiftung hinaus noch weitere finanzielle Unterstützung für notleidende Familien. Bitte beschreiben Sie den daraus resultierenden Nutzen des Zusammenwirkens.

Die komplexen Lebenssituationen der Ratsuchenden machen je nach Einzelfall nicht nur eine finanzielle Unterstützung mit Bundesstiftungsmitteln möglich, sondern erfordern auch weitergehende Unterstützung durch die Landesstiftung, um umfassend zu helfen und die Not zu lindern. Als die brandenburgische Stiftung auf Initiative von Regine Hildebrandt gegründet wurde, ging man vor allem von Notfällen durch Arbeitslosigkeit im Zuge der Wende aus. In dieser Zeit standen die Menschen einer völlig veränderten Lebenssituation gegenüber. Von den Problemen der tiefgreifenden Umstrukturierung des Gesellschafts-, Wirtschafts- und Sozialsystems waren besonders Familien mit Kindern und alleinerziehende Mütter und Väter betroffen. Viele wurden aus der gewohnten Bahn geworfen und kamen an die Grenze ihrer Existenzmöglichkeit. Es hat sich seither gezeigt, dass Ziel und Zweck der Stiftung nach wie vor sehr wichtig sind. Die Ursachen für materielle Notlagen haben sich gewandelt, z. B. gibt es heute einen recht hohen Prozentsatz an Langzeitarbeitslosen mit geringer Perspektive auf Arbeit, so dass die Stiftung hier den Familien helfen kann, wenn gesetzliche Maßnahmen nicht mehr greifen.

Unter den familiären Notlagen, die so vielfältig wie das Leben sind, müssen vor allem die Kinder leiden. Da geht es um Bildungsangebote oder Ferienfreizeiten, auch in Krankheitsfällen oder bei der Betreuung behinderter Kinder ist mitunter eine besondere Unterstützung nötig. Mit Hilfe der Landesstiftung ist es dann möglich, Kinderbekleidung und Kindermobiliar bereitzustellen, Stromabschaltungen zu verhindern, drohende Obdachlosigkeit zu vermeiden, aber auch bei therapeutischen Maßnahmen und Ausbildung zu unterstützen. Unser Hauptanliegen der Stiftung ist es, Hilfe zur Selbsthilfe zu leisten.

Gemeinsam mit der Bundesstiftung und unserer Landesstiftung stützen wir eine wichtigste Säule unserer Gesellschaft: die Familie. Sie vermittelt Schutz, Geborgenheit, macht Mut und gibt Vertrauen und bietet Möglichkeiten der Entfaltung und Entwicklung. Die Unterstützung von junger Elternschaft und Familien ist eine gute Investition und gehört in den Mittelpunkt der Politik.