Interview Im Gespräch mit Frank Winckler, Mitglied im Kuratorium

Die Bundesstiftung wendet sich besonders an schwangere Frauen in einer Notlage und unterstützt jährlich ca. 150.000 werdende Mütter in finanzieller Not. Wie beurteilen Sie heute diese gesellschaftliche und politische Herausforderung?

In Sachsen-Anhalt wurden im Jahr 2010 17.300 Kinder geboren. 6.258 Schwangere wurden durch ergänzende Hilfen aus Mitteln der Bundesstiftung unterstützt. Dies bedeutet, dass ca. 36% aller werdenden Mütter einer Unterstützung bedurften. Bundesweit lag der Anteil derer bei ca. 21%. Allein diese Kurzstatistik belegt, wie notwendig die flankierenden Hilfen der Bundesstiftung auch heute noch sind. Insbesondere vor dem Hintergrund, dass es immer wieder Problemsituationen geben wird, wo die Maschen der Sozialgesetzgebung zu groß sind und unter anderem mit Hilfen der Bundesstiftung aufgefangen werden können.

Außerdem unterstützt die Bundesstiftung Mutter und Kind Frauen (und damit auch Familien) in Not bereits vor der Geburt des Kindes, während familienunterstützende Maßnahmen üblicherweise erst dann greifen, wenn das Kind geboren ist. Natürlich mögen in anderen Ländern universellere Maßnahmen zur Unterstützung schwangerer Frauen in Notlagen eingesetzt werden, aber die Art und Weise, wie dies in Deutschland organisiert ist, bietet mehr Möglichkeiten, die finanzielle Unterstützung mit einem umfassenderen, individuellen Beratungs- und Förderansatz zu verbinden.

Im Bereich Ihres Bundeslandes sind Sie auch seit vielen Jahren verantwortlich tätig für die Bewilligung von Stiftungsmitteln. Welches sind aus Ihrer Sicht die besonderen Probleme der Schwangerschaftsberatungsstellen vor Ort?

Die Fachkräfte in den Beratungsstellen werden zunehmend mit komplexen Problemlagen schwangerer Frauen konfrontiert. Um ihren Beratungsauftrag gemäß Schwangeren- und Familienhilfegesetz ganzheitlich umsetzen zu können, erfordert es neben fachlich fundierter Beratung oftmals auch einen hohen zeitlichen Aufwand aufgrund des vielfältigen Unterstützungsbedarfs in Bezug auf andere soziale Leistungsansprüche. Mit der Einführung des SGB II nahmen auch in Sachsen-Anhalt die Fallzahlen zu, in denen Frauen Schwierigkeiten haben, ihre sozialgesetzlich zustehenden Leistungen im Zusammenhang mit Schwangerschaft und Geburt zu erhalten. Die teils restriktive Auslegung der gesetzlichen Vorschriften erschwert den Beratungsfachkräften die Arbeit, häufig müssen sie die betroffenen Frauen intensiv bei Widersprüchen, Überprüfungsanträgen und auch Klagen gegen unrechtmäßige Entscheidungen der Leistungsträger unterstützen. Dies kostet viel Zeit, die eigentlich für die Kernaufgaben der Schwangerschaftsberatung eingesetzt werden müsste.

Welche Funktionen erfüllt die Bundesstiftung über die finanziellen Hilfen hinaus?

Durch die Notwendigkeit, einen Antrag auf finanzielle Unterstützung aus Mitteln der Bundesstiftung ausschließlich über eine Beratungsstelle einreichen zu können, überwinden viele Schwangere – und zunehmend auch werdende Väter – ihre eventuell vorhandene Hemmschwelle, über weitere Probleme im Zusammenhang mit der Schwangerschaft oder auch im alltäglichen Leben zu sprechen. Die Beratungsfachkräfte nutzen diese Möglichkeit, über bestehende Hilfsangebote zu informieren und ggf. auch vermittelnd in die bestehenden lokalen Netzwerke zu wirken. So wird zum Beispiel über die vom Land Sachsen-Anhalt seit dem Jahr 2006 geförderte Unterstützung durch Familienhebammen hingewiesen. Diese können bis zur Vollendung des ersten Lebensjahres jungen Müttern und Vätern beim Start in die Elternschaft helfen und ihre Erziehungskompetenz stärken. Diese wichtige Verknüpfung und Vernetzung von Hilfeangeboten gelingt gerade in der vertrauensvollen Schwangerschaftsberatung besonders gut.

Die Stiftung „Familie in Not - Sachsen-Anhalt“ gewährt über den Zweck der Bundesstiftung hinaus auch Familien in Not finanzielle Mittel. Können Sie aus Ihrer persönlichen Erfahrung ein Beispiel für die erfolgreiche Unterstützung von jungen Müttern und Familien nennen?

Durch besondere Lebensumstände und unvorhergesehene Ereignisse kommen allein Erziehende und Familien oftmals in schwierige Situationen, die sie selbst oder mangels gesetzlich nicht mehr vorgesehener Hilfen nicht bewältigen können. Oftmals sind die Kinder besonders betroffen. Hier kann die Stiftung „Familie in Not- Sachsen-Anhalt“ individuelle Unterstützungsmöglichkeiten anbieten. Dabei sind es nicht die relativ geringen Geldbeträge, sondern die individuelle Beratung und das konkrete Hilfeangebot, das die Betroffenen mit ihren Sorgen und Ängsten nicht alleine lässt. So konnten wir beispielhaft einer Familie beim behindertengerechten Umbau der Küche behilflich sein, als die Frau in Folge eines Unfalls auf einen Rollstuhl angewiesen war. Einem gehörlosen Kind haben wir durch die Unterstützung bei der Anschaffung einer speziellen Computersoftware die Fortsetzung der schulischen Ausbildung ermöglicht.

Sie arbeiten intensiv im Trägerforum zur Evaluation der Bundesstiftung mit. Was erhoffen Sie sich daraus für die künftige Weiterentwicklung der Stiftungsarbeit?

Zunächst ist es für unsere Arbeit wichtig, dass es keine Vereinheitlichung der Vergabepraxis bei den Hilfen der Bundesstiftung gibt, sondern dass die länderspezifischen Besonderheiten weiterhin berücksichtigt werden können. Stiftungsarbeit, so wie ich sie verstehe erfordert ausreichenden Handlungsspielraum für individuelle, am Einzelfall orientierte Hilfen, der nur durch eigenverantwortliche Praxisarbeit vor Ort möglich ist. Wünschenswert wäre, wenn im Zuge der Evaluation für die Dauerproblematik der Nachrangigkeit der Stiftungsmittel im Verhältnis zu denLeistungsansprüchen gemäß SGB II / XII Lösungsvorschläge für unseren Beratungszusammenhang rund um Schwangerschaft und Geburt eines Kindes entwickelt werden. Hieraus ergäben sich für die Vergabe der Bundesstiftungsmittel deutlich verbesserte Rahmenbedingungen und einwesentlich effizienterer Einsatz der Hilfeleistungen im Einzelfall.